Mein Vogelhäuschen
(Januar 2016) Kurz vor Weihnachten habe ich bei einer Aktion meiner Lieblingstageszeitung ein Vogelhäuschen gewonnen. Ein nettes, aber recht simples Designerstück und einen Sack Bio-Vogelfutter dazu. Seit Heiligabend, als der Postbote das kleine Päckchen bei mir abgelegt hatte, steht der Karton nun bei uns rum und ist schon fast in Vergessenheit geraten. Und nun der Schnee von letzter Nacht. Vielleicht ist es eine Erinnerung an frühe Jahre, als wir mit liebevoll gebauten und gepflegten Vogelhäuschen den gefiederten Freunden in den verschneiten Wintern ein wenig beim Überleben helfen wollten. Jedenfalls erinnerte ich mich an das mit Unterkunft und Futter gefüllte Päckchen, das nun schon zwei Monate unbeachtet in einer Ecke rumlag. Zwei weiße Kunststoffschalen, zwei Metallbügel – zusammengebaut war das Teil im Handumdrehen. Die Saugnäpfe befestigt, jetzt könnten wir die Futterstelle an unserem Balkon anbringen. Um wenigstens ein paar Vögel durch die Schneetage zu bringen. Aber Mechthild machte sich Sorgen. Werden die Vögel das Häuschen überhaupt finden? Was für Vögel werden da überhaupt kommen? Und was, wenn zu viele kommen? Was die erste Frage betraf, waren wir recht zuversichtlich. Wenn das Häuschen erstmal hängen und Futter enthalten würde, würden sich schon ein paar Tiere finden, die das auch zu schätzen wüssten. Aber wollen wir auch alle Vögel hier haben, die Gottes weiten Himmel so bevölkern? Rotkehlchen und Meisen - okay. Aber wir wollen keinesfalls Massen von diesen frechen und dreckigen Spatzen auch nur in die Nähe lassen. Die finden doch überall was zum Fressen und wollen es sich hier nur bequem machen. Und von diesen Tauben, den Ratten der Lüfte, wollen wir gar nicht erst reden. Raben und Krähen dürften eh zu schwer sein und unser fragiles Häuschen zum Einsturz bringen. Mechthild brachte noch Geier ins Gespräch, was ich aber als absurd zurückwies, zumal die ja in erster Linie auf Aas aus sind. Als Lösung überlegten wir uns, den Balkon mit einem Maschendrahtzaun zu schützen. Mit nicht zu engen Maschen, damit die hübschen Singvögel auch noch durch passen. Singen! Natürlich wollen wir, wenn wir schon diesen Aufwand betreiben, auch etwas davon haben. Es sollten also nur Vögel kommen, die auch in der Lage sind, uns mit ihrem Gesang zu erfreuen. Eine Lösung des Problems gestaltete sich schwierig. Mechthild, in einem Anflug von Mitmenschlichkeit (kann man das sagen, im Zusammenhang mit Vögeln?), schlug vor, einen Berührungssensor einzubauen, der, egal welcher Vogel landete, einen Chip mit Vogelstimmen aktivieren sollte. Fast waren wir froh, als es an der Tür klingelte. Björn! Wir hatten Björn kürzlich von meinem Gewinn erzählt und er war schon die letzten Tage sichtlich erregt und besorgt. Vermutlich hat auch ihn der frische Schnee heute Morgen nochmal daran erinnert, dass nun die Gefahr wachsen könnte. Nun stand er da mit einem Luftgewehr in der Hand und schrie uns an. Wenn uns, nur weil etwas Schnee gefallen war, einfallen sollte, das Drecksvogelscheißhäuschen auf dem Balkon aufzuhängen, werde er sich zu wehren wissen. Er werde es sich nicht bieten lassen, dass fremde Vögel seinen Balkon zuscheißen und, falls nötig, zur Schusswaffe greifen. Gerade jetzt, wo auch bald die Zugvögel aus dem Süden bei uns einfallen, nur weil wir „Gutvögler“ sie mit solchen Luxushütten einladen, muss man sich gegen die Überfremdung wehren. Er murmelte noch was von Deutschen Eiern und Bodenhaltung und verschwand. Mechthild und ich waren irritiert. Mechthild verstand Björns Sorge sogar ein wenig und überlegte, ob vielleicht so etwas wie eine Obergrenze für die Vogelfütterung die Gemüter beruhigen könnte. Auf jeden Fall, darin waren wir uns einig, müssten wir verhindern, dass die Drecksviecher auch noch Eier legen und die Brut zum Häuschen mitbringen. Uns war klar, dass wir so schnell an diesem Abend keine Lösung für die sich auftürmenden Probleme finden würden. Bei ein paar Gläschen Eierlikör einigten wir uns dann wenigstens auf ein paar Sofortmaßnahmen. Noch am selben Abend brachten wir zum Schutz rund um den Balkon einen Maschendraht an. Engmaschig. Um nicht falsche Signale auszusenden. Das Vogelhäuschen fand einen würdigen Platz neben unserem Flachbildschirm und wir beschlossen den Abend vergnügt mit einer sehr berührenden Dokumentation über Singvögel in unserer Heimat. Am nächsten Morgen wurden wir durch lautes Gezeter von Björn geweckt. Er hatte auf seinem Gartenstückchen einen Vogelkadaver entdeckt. Und auf den schneebedeckten, aber ansonsten kahlen Ästen der gegenüberliegenden Eiche bemerkte ich zwei Geier. Mein Vogelhäuschen II
(Fortsetzung) Uns war gar nicht wohl bei der Sache. Die Einladung zur Eigentümer- und Mieterversammlung kam zwar nicht wirklich überraschend. Allerdings war die Stimmung in der Wohnanlage seit Silvester aufgeheizt, als eine Gruppe Tauben den Balkon der Meyers vollgeschissen hatte. Seitdem sind Vögel generell ein Reizthema in der Nachbarschaft und so gut wie alle Bewohner haben ihre Balkone inzwischen mit Drahtgittern gesichert. Was also sollte die Bewohnerversammlung bewirken? Im Nebenraum der „Deutschen Eiche“ herrschte eine zugleich aufgeheizte wie eisige Stimmung. Als Mechthild und ich den Raum betraten, empfing uns hasserfülltes Gejohle. „Verräter“, „Gutvögler“, „Lügenfutter“ – unser gewonnenes Vogelhäuschen musste für alles Elend auf den Balkonen der Nachbarn herhalten. Die Wände des Raumes waren gepflastert mit Transparenten: „Gebt Vögeln keine Chance“, „Wer unsere Balkone nicht liebt, soll unsere Balkone verlassen“, „Wir scheißen auf Vogelkacke“ und so weiter. Die Versammlung hatte schon begonnen und Björn hielt gerade eine flammende Rede gegen Sing-, Raub- und besonders Zugvögel und für das Recht der Bewohner, wenn schon, ihre Balkone selbst vollzukacken. Luigi, der im Hinterhaus wohnte, schloss sich an und schwärmte von den alten Zeiten, als die Zugvögel in seiner früheren Heimat, wenn Saison war, geschossen und im Kreise der Familie verspeist wurden. Das gefiel Björn sichtlich und wenige Minuten später hielt er ein Schild hoch: „Vögel futtern statt füttern“. Als Kemal dann das Angebot machte, bis zum nächsten Mal Rezepte aus seiner Heimat mitzubringen und sich im Übrigen um einen gemeinsamen Grillplatz zu kümmern, war die Gesellschaft restlos begeistert. Der Einwand von Chantal aus dem Nebenhaus, ob man nicht eine Ausnahme für Störche machen müsse, denn wer solle denn sonst die Kinder bringen ging fast unter, zumal Björn humorig, wie er nun mal war, einwarf: „Da brat mir doch einer einen Storch!“ Ganz wohl war uns nicht, als wir uns auf den Heimweg machten. Es hatte wieder etwas geschneit und auf dem kahlen Baum gegenüber der „Deutschen Eiche“ saßen vier Geier. |
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