Herbstwind (nach der Wiesn)
Der Wind, der jetzt schon seit drei Tagen versucht, die Blätter von den Bäumen zu schütteln, scheint Wunder zu wirken. Die Stadt kommt langsam zur Ruhe. Mit dem ersten welken Laub sind auch die karierten Hemden und Lederhosen wie weggeblasen. Die jungen und alten Männer üben sich wieder im aufrechten Gang. Ihre Blicke, entlassen aus der Gefangenschaft bedirndlter Dekolletés, richten sich nun wieder mehr und mehr auf die bunte Welt ihrer Smartphonedisplays. Die Bewegungsrichtung ihrer Arme und Hände ändert sich allmählich vom vertikalen Heben zum horizontalen Wischen. Es ist nur wenige Tage her, dass man an jeder Ecke der Stadt rapide alternde Menschen getroffen hat mit sich nach oben hin verjüngenden Kopfbedeckungen, eine weißblaue Kordel knapp oberhalb der schlaffen Krempe rund um das Gebilde geschlungen. Es schien immer so, dass diese Zauberhüte die Leute befähigten in fremden Zungen zu sprechen. Zumeist auf Kosten eines merkwürdigen Gesichtsausdrucks und Augen, die hilflos lallend eine Richtung suchten. Und diesen Zauberkräften war wohl auch zu verdanken, dass ihre Körper in der Lage waren, mit artistischer Grandezza all diese Schwankungen und durch Humtata und Oleoleole ausgelösten Beben des Bodens in der Stadt auszugleichen. Verflogen all das! Wohl hat der Herbstwind ihre Hüte erfasst, davongetragen mit den welken Blättern. Vorbei die Fähigkeit, in trunkener Seligkeit mit Menschen aus aller Herren Länder in der gleichen Sprache, einfache Tonfolgen von sich gebend, das Glück des Rausches zu beschwören. Jetzt kann er kommen, der Herbst. Mit seinem Farbenrausch. Ohne Humtata, ohne Oleoleole. Aber leider halt auch ohne die upgepushten Dekolletés der schönen Frauen. Aber es kommt ja eh bald wieder der Frühling… |
© 2014 - 2019 Arno Jauernig, München
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