Hermine geht heim
Der Weg nach Hause ist weit. Und wenn Frau F. davon erzählt, wo sie daheim ist, strahlen ihre Augen. Jetzt wundert sie sich gerade, wie sie so weit kommen konnte an diesem Tag und warum die Isar so weit weg sein soll. Wo sie doch von ihrer Wohnung im ersten Stock irgendwo beim Max-II-Denkmal direkt auf den Fluss sehen kann. Ihr ganzes Leben wohnt sie schon hier. Und das Isartor ist doch auch nicht weit. Sie will zu Fuß nach Hause gehen. Bis hier her hat sie es doch auch geschafft. Aber hier ist nun mal die Leopoldstraße. Wo ist denn nur die Isar? Der Sehnsuchtsfluss. In der Hand hält sie einen kleinen Blumenstrauß, eingewickelt in grünes Papier und einen roten Apfel. Später wird sie erzählen, dass sie die Blumen auf ihrem Weg in einem kleinen Blumenladen gekauft hat. Ohne Geld? Aber sie hat ja immer etwas Kleingeld lose in der Hosentasche. Und der Apfel ist ihre Wegzehrung. Na, verhungern werden Sie jedenfalls nicht auf Ihrem langen Weg nach Hause. Frau F. ist eine rüstige und gepflegte Frau, vielleicht etwas zu leicht bekleidet für einen Herbsttag. Naja, so zwischen dreißig und vierzig, aber darauf kommts ja nicht an meint sie auf die Frage nach ihrem Alter. Geboren ist sie im Jahr 1927. Im März. Aber heute ist sie noch nicht mal vierzig. Ihr Sohn wohnt noch bei ihr, ist aber ständig unterwegs irgendwo in der Welt, aber er kann auch schon allein zum Spielplatz gehen. An der Isar. Wenn wir jetzt zu Fuß in die Maximilianstraße gehen wollen, werden wir gut eine Stunde brauchen. Am besten fahren wir von der Münchner Freiheit ein paar Stationen bis zum Odeonsplatz. Von da aus ist es nicht mehr weit. Aber ich muss doch nur zum Max-II-Denkmal. Und an die Isar. Sie sind so nett und ich halte sie nur auf. Wir fahren ein paar Stationen mit der U-Bahn. Das Ticket für sie habe ich auf mein Handy gebucht. Keine Sorge, wir fahren nicht schwarz! Vom Odeonsplatz aus ist es nicht mehr weit. Frau F. wundert sich. Und ist glücklich und zufrieden mit ihrem Leben als noch nicht mal Vierzigjährige. Mit ihrem Leben an der Isar und beim Max-II-Denkmal. Wenn sie nur wüsste, wie es gekommen ist, dass sie an diesem Tag so weit gegangen ist. Es ist ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben, das sie an diesem Tag führt. Und ein wenig vergnügt ist sie auch. Und zuversichtlich bald daheim zu sein. Haben Sie einen Wohnungsschlüssel dabei? Sie durchsucht die Taschen ihrer gestreiften Hose. Kein Geld, kein Schlüssel. Ach, ich komm immer rein. Es ist ja immer jemand da. Oder die Nachbarn lassen mich rein. Ein wenig kommt es mir vor wie Verrat, dass wir am Odeonsplatz den freundlichen MVG-Mitarbeiter (schee, mei erste Freindin hod aa Hermine ghoaßn) in seiner Kabine bitten, die Polizei zu verständigen um herauszufinden, wo Frau F. denn eigentlich hingehöre. Zu gerne hätte ich sie noch zu ihrer Wohnung begleitet, vielleicht auch nur, weil ich für einen Moment in ein glückliches Gesicht geblickt hätte. Der Polizei war Frau F. schon vom Altenheim in Schwabing als abgängig gemeldet worden. Heute würde sie mit dem Auto nach Hause gefahren, ganz exklusiv. Aber ich kann ja auch die 20er nehmen. Ich muss doch nur zum Max-II-Denkmal. Achja, ich hab ja gar kein Geld dabei. Fast bin ich ein wenig enttäuscht, dass sie, obwohl anfangs skeptisch, doch mit den beiden jungen Polizisten mitgeht um sich nach Hause bringen zu lassen. Wo sie doch ihr Zuhause eigentlich immer mit dabei hat. Danke Hermine für diese kleine Reise an einem Donnerstagnachmittag. Es war uns eine große Ehre, Sie begleiten zu dürfen. Und jetzt sitze ich da mit der Telefonnummer, die sie mir gegeben hatte. Als ich am Nachmittag dort angerufen hatte, ging niemand dran. Und nun frage ich mich, wenn ich es nochmal versuchen würde, ob dann wohl Hermine am Apparat wäre. Und ob im Hintergrund die Isar rauschte. |
© 2014 - 2019 Arno Jauernig, München
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