Hygge, Lagom und a bisserl Gaudi
Frode war der einzige Däne unter den Beschäftigten des Dänischen Bettenlagers. Und seit alle Welt über Hygge redete, war er derjenige, der mit Gemütlichkeit und heimeliger Ausstrahlung für ein gutes Betriebsklima sorgen und den Verkauf ankurbeln sollte. Jetzt war Frode aber von Natur aus ein eher etwas unruhiger Geist und hibbeliger Typ. Seine Nächte waren den Partys in der immer noch fremden Stadt gewidmet und an den Tagen war er hauptsächlich damit beschäftigt, die Nächte klar zu machen. „Die Dänen habens einfach drauf“ pflegten seine Kollegen anerkennend zu sagen, seit sie von Hygge gehört haben. Frode tigerte den lieben langen Tag zwischen den Möbelstücken hin und her, warf versehentlich dann und wann eine nordische Vase zu Boden und schnauzte mit seinem unnachahmlichen dänischen Akzent Kunden an. Die Kollegen, die alle schon von Hygge gehört aber noch nie ein Buch darüber gelesen hatten, meinten nun, das sei typisch dänisch und wohl diese seligmachende Lebensart, von der jetzt alle reden und mancher versuchte es ihm gleichzutun. Frode sollte es recht sein. Er wusste zwar nicht, wo sie herkam aber er genoss die Bewunderung, die ihm entgegengebracht wurde, nur weil er Däne war. Besonders die von Rosi aus der Bettwäscheabteilung, die jede Mittagspause mit ihm in der dunklen Wäschekammer mit der Frage einläutete: „Na, wollen wir heute wieder den kleinen Dänen dehnen?“, um dann an ihm ihr loses Mundwerk zu verrichten. Es hätte ewig so weitergehen können. Aber eines Morgens stand Ole in der Teeküche. Ole war Schwede und hatte vorher als einziger Schwede in einem schwedischen Möbelhaus sein Smörrebröd verdient. Ole war ein echter Schwede, hieß aber eigentlich Istvan und sein Haar strahlte in diesem dunklen schwedischen Einwandererblond. Eigentlich hatte er ein ganz beschauliches Arbeitsleben, bis zu jenen Tagen, in denen Lagom auftauchte. Lagom, diese ausgeglichene, in der Mitte ruhende Art zu leben, wie es nur die Schweden können. Von der noch nie jemand etwas gehört hatte, die jetzt aber dazu ausersehen war, Hygge abzulösen, dieses vergleichsweise hektische und fremdbestimmte dänische Lebenskonzept. Vielleicht hätte niemand im Möbelhaus etwas davon mitbekommen, hätte sich die Geschäftsführung nicht dazu entschlossen, Lagom zum Verkaufsschlager zu machen. Mit Lagom-Köttbullar (nicht Fisch, nicht Fleisch), Lagom-Bücherregalen für die Lagom-Bücher („Lagom am Lago Maggiore“) und Lagomatzratzen. Für Ole bedeutete all das, dass er fortan unter Beobachtung stand. Alle Kolleginnen und Kollegen schauten nun genau hin, wie Ole, der einzige echte Schwede weit und breit, Lagom machte. Und Ole versuchte es ihnen Recht zu machen. Er arbeitete fortan nicht zu viel und nicht zu wenig. Seinen Kunden, die ihn um Rat fragten welche Matratzengröße wohl die beste sei, empfahl er immer ein gesundes Mittelmaß. Als er aber an der Kasse den Kunden ans Herz legte, nicht zu viel aber auch nicht zu wenig zu bezahlen, begann sich die Personalchefin für ihn zu interessieren. Sie fand, seine Arbeitsleistung sei wie Köttbullar - nicht Fisch, nicht Fleisch und eine Entlassung jetzt gerade richtig. So landete Ole in der Teeküche des Dänischen Bettenlagers. Gemütlich und behaglich mit Freunden abhängen, diese Vorstellung hatte ihn dazu bewogen, sich gerade hier zu bewerben. Er konnte ja nicht ahnen, welche Vorstellung vom hyggeligen Leben Frode in diesem Betrieb eingeführt hatte. So wurde Ole zunächst einmal sehr kritisch beäugt. Allein Rosi erkannte sofort, wo seine Mitte lag, auf die doch alles ankam und Frode hatte in den kommenden Wochen alle Hände voll zu tun, Rosi bei der Stange zu halten. Ole und Frode gingen sich anfangs so gut es möglich war aus dem Weg. Ole war eh nur für den Mittelgang zuständig und Frode für die Außenbereiche. Alle anderen, hin- und hergerissen zwischen Hygge und Lagom, lernten mit der Zeit ihr eigenes Ding zu machen. Trotzdem machte sich eine gewisse Unzufriedenheit breit. Frode, der sich inzwischen ein paar Bücher gekauft hatte um ein besserer Däne zu werden, saß immer öfter in der Teeküche und wartete auf die anderen um gemütlich zusammen zu sitzen. Ole fand das zu extrem. Manchmal, an guten Tagen philosophierten sie über die Frage, warum es wohl keine Hamingja-, Lykke-, Onnellisuus- oder Szczęście-Ratgeber zu kaufen gibt und erklärten sich das mit dem Umstand, dass es so wenige isländische, norwegische, finnische oder polnische Möbelhäuser gibt. Alles hätte gutgehen können, wäre nicht eines Tages Michi eingestellt worden. Michi kam von Möbel Seehofer und brachte den neuesten Hype mit, der im nächsten Jahr all die Hygge- und Lagom-Gelassenheits-Konzepte über den Haufen werfen sollte: „Gaudi, der bayrische Weg zur Ausgelassenheit“ Der Geschäftsführer des Ladens begrüßte den neuen Stil sehr, legte aber großen Wert darauf, dass es bei aller Ausgelassenheit doch auch eine Obergrenze geben müsse. |
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