Is d‘ Wiesn scho vorbei?
Mein Supermarkt um die Ecke ist, seit der Eigentümerkonzern gewechselt hat, immer auf der Höhe der Zeit. Zurzeit gibt es beispielsweise erntefrische Bananen aus der Region, noch grün zwar aber mit Bio-Siegel. Oder jetzt, zum Schulanfang, Schokolade – aus Kakao, garantiert von Kinderhand geerntet. Und Wurst in Plastikhüllen, recycelt aus Kunststoffabfällen, die aus den Weltmeeren gefischt wurden. Im Eingangsbereich ist in der Regel das Warensortiment platziert, das mir in harten Zeiten immer eine Orientierung dafür ist, welche Jahreszeit gerade stattfindet oder welche Feste bevorstehen. Gestern noch war ich mir ziemlich sicher, dass bald die Wiesn beginnen muss oder gar schon angefangen hat. Tragl über Tragl voller Wiesnbierflaschen, Riesnwiesnbrezn, Weißwürscht in Dosen mit weiß-blauem Rautenmuster, Lebkuchenherzerln zierten den Weg hin zu den Biobananen und der Packerlwurscht. Ja! Die Wiesn steht bevor. Dass sie noch nicht begonnen haben kann, war nur daran erkennbar, dass keine lederbehoste Kundschaft im Geschäft war und die Dirndln an der Kasse keine solchen trugen. Und heute? Ist denn schon alles vorbei? An der Stelle, an der gestern noch die bayrische Lebensfreude tobte, ist über Nacht die staade Zeit angebrochen. Berge von Lebkuchen, Spekulatius und Dominosteinen verstellen den Blick ins Ladeninnere und den Zugang zu meiner geliebten Plastikpackerlwurscht. Ich nehme mir eine Flasche Glühwein und ein Tüterl Zimtsterne mit und auf dem Heimweg überfällt mich eine seltsame Vorstellung: in drei Tagen wird der Münchner Oberbürgermeister, umringt von allerlei lokaler Prominenz ein Fass Bier anstechen, den Schlegel triumphierend schwenken und ausrufen – „Euch ist ein Kindlein heut geboren!“ |
© 2014 - 2019 Arno Jauernig, München
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